1.FC Lok Leipzig: Ein 69-Jähriger auf der Tribüne im „Un-Ruhestand“
10. June 2011 - 10:59 — miuzadm
Mit 69 Jahren gehört man heutzutage zu den „Alten“, die sich aus der Arbeitswelt verabschiedet haben. Manche haben das Geld, um zu reisen und auszuspannen. Roland Schuricht vielleicht auch, doch legt er lieber beim 1. FC Lok los. Vor jedem Heimspiel entschmuddelt er vier Stunden lang die Tribüne.
Roland Schuricht im Einsatz.
Foto: Marko Hofmann
Wenn der 1. FC Lok Leipzig zu Heimspielen im Bruno-Plache-Stadion antritt, hat sich zuvor ein 69-Jähriger um den Wohlfühl-Faktor auf der 88 Jahre alten Tribüne des Bruno-Plache-Stadions gekümmert. Roland Schuricht, ein ehemaliger Eisenbahner, legt vor jedem Heimspiel selbst ehrenamtlich Hand an, obwohl er es mit 69 Jahren eigentlich nicht müsste. „Aber sonst kümmert sich keiner darum“, erklärt er entsetzt.
„Wir haben wie die Kaputten gearbeitet.“
Foto: Marko Hofmann
Zu DDR-Zeiten war Eisenbahner Schuricht immer wieder eher als "Modefan" in Leipzig-Probstheida. Nach der Wende verließ er die damalige Deutsche Reichsbahn und tauchte nur noch sporadisch bis gar nicht mehr im Plache-Stadion auf. 2006 - während des Hypes um Lok Leipzig – besuchte er aus Neugierde das Bezirkspokal-Finale gegen den Bornaer SV und war begeistert. „Diese blau-gelben Fahnen, die überall wehten und die Stimmung – das war wie früher zu DDR-Oberliga-Zeiten“. Seitdem ist Schuricht Stammgast und Mitglied beim 1. FC Lok Leipzig und engagiert sich auch immer mehr. Zuerst bei der Voter-Gemeinschaft des FCL (L-IZ.de berichtete) und dann beim Stadionumbau. Im letzten Sommer werkelten 40 Fans im Stadion, um es regionalligatauglich zu machen. Der damals 68-jährige Schuricht war unter ihnen - von 8:00 bis 20:00 Uhr – und das über mehrere Wochen. „Wir haben wie die Kaputten gearbeitet“, so der Senior. Er schuftete mit Anderen auf der Tribüne. „Nach den Arbeiten war zwar alles recht gut in Ordnung gebracht, aber niemand hatte sich darum gekümmert, wie man es erhält“. Das ärgerte den Rentner und nun stellt er sich seit Saisonbeginn selbst hin. Die Ausrüstung – Wischgestell, Staubsauger, Lappen, Reiniger - bringt er größtenteils selbst mit. Die Fähigkeiten auch. Denn nach seinem Abschied von der Reichsbahn lernte Schuricht den Beruf des Gebäudereinigers und kletterte bis zur Ebene des Bereichsleiters hinauf. Dreizehn Jahre lang schrubbte er, bis er 2005 endgültig in Rente ging.
Vier Stunden dauert eine Tribünen-Reinigung.
Foto: Marko Hofmann
Vor jedem Heimspiel saugt Schuricht allein zunächst die 98 Meter lange Haupttribüne. „Das einzige Problem ist dabei, dass das Staubsaugerkabel immer zwischen den Sitzen hängenbleibt“, gibt sich der rüstige Rentner bescheiden und verweist nicht etwa auf körperliche Gebrechen. Nach dem Saugen rückt er hartgewordenem Dreck oder Vogelkot mit der Drahtbürste zuleibe und wischt die Sitze ab. „Ich bin der Meinung, dass man für den Tribünenpreis auch einen sauberen Sitz haben sollte“. Auch die Balustrade wird gesäubert und am Schluss noch die beiden Toiletten unterhalb der Tribüne. Wandfließen, Fußboden, Urinale. Meist braucht der 69-Jährige vier Stunden für sein Opus. Danach fährt er schnell nach Hause, um sich selbst für das Heimspiel in Schale zu werfen.
Dank hat er für seine Putzarien noch nie erhalten. „Der 1. Vorsitzende hat sich hier noch nie blicken lassen“. Aber das ärgert ihn nicht so sehr, wie die generelle Lethargie im Stadionbereich. „Nach den Heimspielen kümmert sich keiner um die Tribüne, obwohl es hier genügend 1-Euro-Jobber gibt“. Kritisch betrachtet er auch den Stillstand im Gesamtverein. „Ich möchte, dass jeder ein bisschen mehr macht auf seinem Gebiet. Sonst erreichen wir unsere Ziele nicht“. Deswegen geht Schurichts Ehrenamt auch über die Tribünensäuberung hinaus. Seit einiger Zeit nimmt der Rentner an den Sitzungen der Lok-Sponsorengruppe teil und versucht Firmen zu lo(c)ken. „Ich will auch versuchen, für die Spieler Arbeitsstellen aufzutreiben.“ Selbst spendet er an verschiedenen Stellen insgesamt 50 Euro pro Monat für die Lok Leipzig.
Das Kabel bleibt häufig an den Sitzen hängen.
Foto: Marko Hofmann
Wenn er sich beim Verein über die Lethargie beschwert, bekommt er meist zu hören, dass man immerhin nur ein Amateurverein sei und alle tagsüber arbeiten gehen. „Aber was heißt denn das? Wer die Zeit nicht aufbringen kann, seine Position im Sinne von Lok mit voller Kraft auszufüllen, der muss seine Position zur Verfügung stellen“, so Schuricht bestimmt.
Seine Frau ist von dessen neuer Liebe wenig begeistert. „Sie tobt zu Hause und sagt, ich sei bekloppt. Ich lüge sie noch an und erzähle ihr, dass wir die Tribüne zu dritt säubern, damit sie ruhiger wird“.
Im September wird Schuricht 70 Jahre alt. Bis dahin sind es noch mindestens fünf Heimspiele, vor denen der Umtriebige die Tribüne gereinigt haben wird. Vielleicht ist dann auch wieder ein wenig Euphorie in Probstheida ausgebrochen. Ein besseres Geburtstagsgeschenk könnte es für den Jubilar nicht geben. Oder doch? „Ich könnte jemanden gebrauchen, der mir beim Staubsaugen das Kabel hält, damit es nicht zwischen den Stühlen festklemmt“, träumt er.